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9783895004834

Herausgeber: Klein, Hans-Günter

Felix Mendelssohn Bartholdy. Schweizer Skizzenbuch

2008
26,5 x 20,5 cm, 54 S., 21 s/w Abb., Gebunden
49,00 €

ISBN: 9783895004834

Kurze Beschreibung

Felix Mendelssohn Bartholdy reiste im Jahr 1842 mit seiner Familie anlässlich eines Musikfestes in die Schweiz. Als eine Art Tagebuch führt er ein Zeichenbuch, in dem er mit Bleistift Landschaften und Ortsansichten festhielt. Jede der 21 Zeichnungen ist datiert und kommentiert. Das Album beginnt mit einer Ansicht aus Frankfurt am Main, von wo aus die kleine Reisegruppe aufbrach. Die Reise führte über Lausanne, Chamonix und Martigny ins Rhônetal, anschließend nach Interlaken und Zürich. Zu den Zeichnungen gehören neben voll ausgeführten Ansichten auch Skizzen. Sie zählen zu seinen schönsten Arbeiten.

Ausführliche Beschreibung

Im Jahre 1842 hatte Felix Mendelssohn Bartholdy wieder die Absicht, in die Alpen zu fahren - diesmal mit seiner Frau Cécile, die das Schweizer Land nicht kannte. Als dann eine Einladung der Schweizerischen Musikgesellschaft eintraf, am Musikfest in Lausanne teilzunehmen, wo man seinen „Lobgesang“, op. 52, in seiner Gegenwart aufführen wollte, gewann die Reiseplanung deutlichere Konturen. Es war auch verabredet worden, dass der Bruder Paul mit seiner Frau Albertine auf die Reise mitkommen sollte. Felix Mendelssohn war mit seiner Frau am 16. Juli 1842 aus England nach Frankfurt in das Haus seiner Schwiegermutter zurückgekommen und unternahm nun oft am frühen Morgen, bevor die anderen aufstanden, eine Wanderung in den Süden der Stadt, wo er dann auch schon zum Zeichenstift griff. Ende Juli trafen dann Paul und Albertine am Main ein und bald darauf brach die Reisegruppe auf; Felix’ und Céciles kleine Kinder blieben bei den Verwandten in Frankfurt.
In Basel verzögerte sich wegen einer Unpässlichkeit Cécile Mendelssohns die Weiterreise und damit auch die Ankunft in Lausanne. Sie hatten eine Reiseroute gewählt, die von hier aus über Delémont durch das Tal der Birs (mit Halt im Dorfe Court am 2. August) nach Biel führte (am 3.8.); am 4.8. trafen sie am Genfer See ein, einen Tag nach der Aufführung des „Lobgesang“. Am 5. und 6. August hielten sie sich in Ouchy auf und nahmen am 6. auch an einer Dampferfahrt auf dem See teil, mit der das Musikfest abgeschlossen wurde. Der darauffolgende Tag war der letzte in Lausanne, Mendelssohn zeichnete eine seiner schönsten Ansichten in sein Skizzenbuch, die Kathedrale der Stadt.
Über Genf fuhr man in das Tal der Arve und gelangte nach einem Halt in Bonneville nach Chamonix, wo man sich für einige Tage einmietete. Durch die Dala-Schlucht erreichten sie Leukerbad, und von hier aus stiegen sie zum Gemmi-Pass und zum Daubensee hinauf. In welchen Tagesetappen dann die Gruppe über Kandersteg und Spiez nach Interlaken kam, ist nicht bekannt. Von Interlaken aus unternahmen die Mendelssohns dann Ausflüge ins Berner Oberland, am 21.8. nach Wengen, am 22./23.8. auf das Faulhorn, den Berg mit einem viel gepriesenen Panorama, den man auch relativ leicht erreichen und auf dem man auch übernachten konnte. Am 2.9. erreichten sie schließlich Zürich, von wo aus sie nach Frankfurt zurückkehrten.
Mendelssohn hat während der Reise kein Tagebuch geführt und seiner Familie in Berlin auch nicht so ausführliche Berichte geschickt, wie er es 1831 getan hatte. An seine Mutter schreibt er: „Schweizer Beschreibungen sind ja gar nicht zu machen, und statt eines Tagebuchs, wie das vorigemal, zeichne ich diesmal ganz wüthig darauf los, und sitze Tagelang vor einem Berge, und suche ihn nachzumachen, (bis das Bild verdorben ist, eher lasse ich nicht ab) und muß täglich wenigstens eine Landschaft im Buch haben“ (18.8.1842). Mendelssohn hat mindestens zwei Zeichenbücher während der Reise benutzt, das hier faksimilierte, das heute in Berlin liegt, und ein weiteres, das in Oxford aufbewahrt wird und mit Court am 2.8. beginnt und mit Stans am 30.8. endet. Ob er noch ein drittes, heute verschollenes Skizzenheft geführt hat, ist nicht sicher. Die Bezeichnung der einzelnen Blätter mit Ort und Datum ihrer Entstehung lässt deutlich erkennen, dass sie primär als Erinnerungsstücke dienten, im Sinne einer Art Tagebuch, wie er es selbst in dem zitierten Brief an die Mutter beschrieben hat. In demselben Sinne sind die einzelnen Identifikationshinweise zu deuten. Diese Eintragungen Mendelssohns sind im Faksimile-Teil jeweils auf der linken Kommentarseite zu Beginn in kursiver Schrift wiedergegeben, vollständig und in Mendelssohns Orthographie und Interpunktion. Die Zeichnungen Mendelssohns sind in sehr unterschiedlicher Weise ausgearbeitet. Einige sind nur in ihren Umrisslinien skizziert, wobei er sich gelegentlich auch in Worten oder Kürzeln Gedächtnisstützen für die weitere Ausarbeitung notiert hat, die dann aber unterblieb. Überliefert ist, dass er auf seiner Reise 1831 oft noch abends im Wirtshaus an seinen Zeichnungen weitergearbeitet hat; inwieweit er dies auch jetzt getan hat, ist nicht bekannt (zu vermuten ist: wohl eher nicht). Die Ansicht von Bonneville (8.8.) lässt erkennen, wie er nach Skizzierung des Häuser-„Rahmens“ sich gleich auf das Felsenmassiv konzentriert, das aber doch nicht beendet hat - offensichtlich war es der Berg, der sein besonderes Interesse erregt hatte. So vermitteln die Blätter gelegentlich den Eindruck des status nascendi. Auch die Zeichnungen, die auf den ersten Blick als beendet erscheinen, weisen in Randpartien nur eine skizzierte Ausführung auf, sie sind nicht bis zu Ende ausgearbeitet - wie es doch wohl Mendelssohns Ideal gewesen ist. Doch könnte dies - wie beispielsweise in dem Frankfurter Bild (20.7.) - ein absichtsvoll eingesetztes künstlerisches Mittel sein, um die Konzentration auf den Bildmittelpunkt zu bewirken. Bei Bergen in der Ferne könnten weiß gebliebene Flächen den Dunst wiedergeben, in dem die Gipfel nur als Silhouette erscheinen; andererseits lässt die Ansicht der Bachalp (22.8.) deutlich erkennen, wie Mendelssohn durch die Art der Detailzeichnung die unterschiedliche Entfernung der Berggruppen angedeutet hat, ohne dabei auf eine Ausarbeitung des Hintergrundes zu verzichten. Auch diese Technik könnte dadurch bedingt sein, dass Mendelssohn für die eigene Erinnerung möglichst viel von dem Gesehenen festhalten wollte, wobei die realitätsgetreue Wiedergabe im Sinne einer Vedute ihm nicht so wichtig war. Einige Bilder aus diesem „Schweizer Skizzenbuch“ gehören zu seinen schönsten Zeichnungen.

Rezensionen

„Die Bedeutung der Publikation – außer, daß es ein schönes Geschenkbuch ist und für lokal Interessierte natürlich reizvoll – liegt darin, daß die so außerordentlich vielseitige Persönlichkeit Mendelssohns auch durch seine auf hohem Niveau angesiedelte zeichnerischen Fähigkeiten dokumentiert wird.“

Rezensent: Albert Raffelt

In: IFB.
http://ifb.bsz-bw.de/ifb2/bsz285665081rez-1.pdf?id=2706 (22. März 2010)

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„Klein (...) gab zunächst das Faksimile des im Schweizer Urlaub des Jahres 1842 entstandenen Zeichenbuches heraus: eindrückliche Beispiele für Mendelssohns Fertigkeit, komplexe Gebirgslandschaften mit Bleistift aufs Papier zu bannen.“

In: Österreichische Musikzeitschrift. 7/2009. S. 30.

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„Alles ist so anders, von den Bergformen bis zu den Häusern, daß man es gesehen haben muß, um sich's zu denken [ ... ] denn es giebt einem eine andere Idee vom lieben Herrgott und seiner Natur in ihrer unermeßlichen Schönheit.« Mit diesen begeisterten Worten schilderte Felix Mendelssohn Bartholdy in einem Brief an seinen Freund Eduard Devrient die überwältigenden Eindrücke, die er auf seiner Wanderroute durch die Schweiz im Jahre 1831 gewonnen hatte. Im Laufe jener Reise verfasste Mendelssohn ein Tagebuch für seine Familie, in dem neben dem rein protokollarischen Festhalten der Ereignisse mehrmals wahre Lobeshymnen auf die Schweiz anklingen. Weniger beredt, aber nicht minder enthusiastisch, gab Mendelssohn von seinem erneuten Aufbruch in die Schweiz 1842 Zeugnis - in Form einer Sammlung von Zeichnungen, deren Faksimile nun von Hans-Günter Klein im Reichert Verlag unter dem Titel »Felix Mendelssohn Bartholdy Schweizer Skizzenbuch« mit einem deutsch-englischen Kommentar herausgegeben wurde. Die Veröffentlichung des Schweizer Skizzenbuchs zu Beginn des Mendelssohn-Jahres 2009 ist nur ein kleiner, wenn auch beachtenswerter Beitrag in einer langen Reihe von Veranstaltungen, Ausstellungen und Neuerscheinungen zum 200. Geburtstag von Felix Mendelssohn Bartholdy. Es zeigt den hochbegabten Komponisten von einer anderen Seite seines nicht nur auf die Musik begrenzten künstlerischen Schaffens - als aufmerksamen Beobachter und passionierten Zeichner, der die Eindrücke, die er auf seinen vielen Reisen sammelte, nicht nur in Wort und Ton fasste, sondern sie auch auf zahlreichen Skizzen und Aquarellen einfing. (...) Darüber hinaus gibt die Einführung Aufschluss über Mendelssohns emotionale Verbundenheit mit der Schweiz, die er 1842 bereits zum dritten Mal bereiste und liefert auch einige Informationen zu bestimmten Zeichentechniken, die Mendelssohn anwandte, um das Gesehene in stimmiger Art und Weise wiederzugeben. So veränderte er beispielsweise die Proportionen der Bildgegenstände und ließ diese enger zusammenrücken, was ihm ermöglichte, eine breitere Fläche abzubilden, als sie der Radius des menschlichen Blickfeldes erfassen kann. Diese Malweise lässt die Bildobjekte automatisch zierlicher und eleganter erscheinen als sie in Wirklichkeit sind. Die Herausgabe des Buches im 24 x 30 cm-Breitformat gleicht sich der Panoramabildfläche der Zeichnungen an. Die Skizzen zieren jeweils die rechte Hälfte einer Doppelseite, während auf der linken Hälfte kurze Anmerkungen stehen, die Auskunft über ihr Entstehungsdatum geben und Erläuterungen zu den Orten liefern, die Mendelssohn als Vorlage dienten. Das großzügige Layout des Buches lässt jede einzelne der Skizzen zur Geltung kommen, so dass sich ihre Wirkung auf den Betrachter voll entfalten kann. Da das Buch eine vollständige Reproduktion des von Mendelssohn gefertigten Skizzenheftes darstellt, enthält es neben meisterlich und fein ausgearbeiteten Zeichnungen auch einige nur aus wenigen Strichen bestehenden, unvollendet gebliebene Skizzen. Dieses Nebeneinander verrät dem Betrachter indirekt etwas über die Aufenthaltsdauer Mendelssohns an den jeweiligen Orten und die Intensität seines Bezugs zu ihnen. Diejenigen Illustrationen, die er detaillierter und mit größerem Zeitaufwand anfertigte, zeigen in der Regel jene Orte oder Landschaften, die bei ihm einen besonders starken Eindruck hinterlassen hatten und an denen er auch länger verweilte. Eine der schönsten Skizzen der Sammlung ist beispielsweise die Abbildung der alten Nussbäume vor einem Kloster in Interlaken, die Mendelssohn bereits im Kindesalter bei seiner ersten Schweizreise mit seinen Eltern im Jahre 1822 in ihren Bann gezogen hatten. Die friedliche Szene zeigt einen Mönch und ein Kind, die im Schatten der mächtigen weitverzweigten Krone eines alten Baumriesen auf einer Bank Zuflucht gefunden haben. Aus der träumerischen und durch den lichter werdenden Hintergrund leicht unwirklichen Atmosphäre des Bildes meint der Betrachter die Stimmung zu erspüren, in welcher Mendelssohn sich befand, als er es malte: Der nostalgische Blick zurück in die Kindheit mischt sich mit der Sehnsucht der romantischen Seele nach einer Erholung des Menschen in der Ruhe der Natur. Die religiösen Elemente verweisen auf das Göttliche in der Natur und eine Möglichkeit der inneren Zwiesprache mit Gott, die aus der Einheit mit ihr erwächst. Das Schweizer Skizzenbuch gewährt einen reizvollen Einblick in Mendelssohns zeichnerische Fähigkeiten und seine Liebe zur Schweiz.
Ein umfassendes Bild des Reisenden Mendelssohn, für den die vielfältigen Impressionen eine kompositorische Inspirationsquelle waren, kann das Schweizer Skizzenbuch jedoch nicht vermitteln, da die in der Einführung gegebenen Hintergrundinformationen für eine tiefer gehende Bezugnahme zu nüchtern-sachlich bleiben. Der aufmerksame Betrachter und Kenner der Musik Felix Mendelssohn Bartholdys mag aus der intensiven Betrachtung der Zeichnungen seine eigenen Schlüsse ziehen hinsichtlich gewisser Parallelen zwischen Mendelssohns Zeichenstil und der Konzeption seiner Kompositionen. Nicht verborgen bleiben wird ihm zweifelsohne das Fehlen jeglicher revolutionärer Bestrebungen Mendelssohns, sei es nun auf dem Gebiet der Komposition als auch auf dem der Malerei. Der stets der Tradition Bachs und Händels verhaftete Komponist, der in seinen Werken allenfalls frühromantische Tendenzen erkennen ließ, lehnte nicht nur die radikalen harmonischen Neuerungen eines Wagner ab, sondern auch die von ihm als »gräuliche Schmierereien« bezeichnete neue Kunstform des Impressionismus. Mendelssohn mag mit einer solchen Diffamierung deren Sinngehalt verkannt haben, doch entsprach sie nun einmal nicht seinem vielleicht etwas konservativ gefärbten, doch gleichwohl klassisch zeitlosen Ideal einer schlichten Eleganz, die es versteht, selbst raueren Elementen Formschönheit zu verleihen und unter deren Maxime sowohl Mendelssohns Kompositionen als auch seine Malerei zu verstehen sind. Auch die exakte, detailverliebte Ausarbeitung der fertig gestellten Skizzen, die jedoch niemals ausartet in eine den Gesamteindruck verfälschende Akribie, lässt die Hand des Komponisten Mendelssohn erkennen. Anregungen für derlei vergleichende Interpretationsansätze sucht man im Eingangstext des Schweizer Skizzenbuchs leider vergebens. Es mag durchaus der Absicht des Verfassers entsprechen, eine mögliche Deutung der Skizzen dem Leser zu überlassen, doch lässt sich daraus gleichzeitig schlussfolgern, dass die Ansicht des Buches ohne ausreichendes Hintergrundwissen zu Leben und Werk Felix Mendelssohn Bartholdys keine tiefere Bedeutung gewinnt als die einer romantischen Bilderreise durch die Schweiz. Empfehlenswert ist dieses Buch daher insbesondere für MendelssohnLiebhaber, die ihre Sammlung um eine bibliophile Kostbarkeit erweitern möchten.“

In: Die Tonkunst. 3 (2009) Nr. 2. S. 236-237.

Autoreninfo

Hans-Günter Klein ist Musikwissenschaftler. Bis 2003 tätig in der Musikabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin und seit 1988 auch als Leiter des Mendelssohn-Archivs. Seit 1993 Mit-Herausgeber der „Mendelssohn-Studien“. Publikationen: Mehrere Bestands- und Ausstellungskataloge für die Staatsbibliothek (u.a. „Das verborgene Band“, „Die Mendelssohns in Italien“) und Veröffentlichungen über die Familie Mendelssohn, Felix Mendelssohn Bartholdy und Fanny Hensel.

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