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Scheiternde Zeugen, machtlose Wähler
Der Zuschauer im zeitgenössischen libanesischen Theater
2011
17,0 x 24,0 cm, 118 S., Gebunden
ISBN: 9783895008030
17,0 x 24,0 cm, 118 S., Gebunden
49,00 €
ISBN: 9783895008030
Kurze Beschreibung
Die Studie gewährt neue Einsichten in die Entwicklung des zeitgenössischen Theaters im Libanon. An ausgewählten Bühnenarbeiten von Rabih Mroué (geb. 1967) und Hisham Jaber (geb. 1980) führt die Autorin eine theaterwissenschaftliche Analyse anhand aktueller Theoriebildung durch. So erreicht sie eine aufschlussreiche Definition der Politik dieses Theaters: Auch wenn es sich nach wie vor kritisch mit Kriegserinnerung und der Zerrissenheit der libanesischen Gesellschaft auseinandersetzt, ist sein politischer Gehalt eher in seiner Darstellungsweise als in den konkreten Inhalten zu finden. Mroué und Jaber, die in diesen Arbeiten den Theaterzuschauer selbst ins Zentrum stellen, fordern die Selbstreflexion und Partizipation des kritischen Individuums. Indem die Untersuchung eben diese innovative Perspektive auf den Zuschauer wählt, schlägt sie gleichsam eine Brücke zu aktuellen Trends der internationalen Theaterszene.Ausführliche Beschreibung
„Der Zuschauer“, so lautete jüngst eine Einschätzung des bekannten Theaterwissenschaftlers Hans-Thies Lehmann, „ist praktisch, mehr aber noch ästhetisch die zentrale Frage des Theaters, seiner Praxis und seiner Theorie geworden“. In dieser Kunstform, die sich wie keine andere durch eine Gleichzeitigkeit von künstlerischer Produktion und Rezeption definiert, regt die Frage nach der Rolle des Publikums derzeit weltweit Künstler zur kritischen Auseinandersetzung an.Im soziokulturellen Kontext des Libanon, so die zentrale These dieses Buches, erhält die „Zuschauerfrage“ jedoch eine ganz spezifische Qualität: Über sie können Wahrnehmungsprozesse nicht nur im Theater, sondern vor allem innerhalb der eigenen politischen Gemeinschaft und der Mangel an zivilgesellschaftlicher Partizipation thematisiert werden. Der Blick auf den Theaterzuschauer weist somit über den Rahmen des Theaterraums hinaus: Er verweist auf den Zuschauer als Bürger.
Das vorliegende Buch widmet sich experimentellen Ansätzen der zeitgenössischen libanesischen Theater- und Performanceszene, die das Selbstverständnis des Zuschauers und die Tätigkeit des „Zuschauens“ zur Disposition stellen. Als paradigmatische Beispiele wurden Bühnenarbeiten von Rabih Mroué (geb. 1967) und Hisham Jaber (geb. 1980) ausgewählt, in welchen die etablierte Position des Publikums durch innovative künstlerische Mittel in Zweifel gezogen wird. Im Rahmen der theaterwissenschaftlichen Analyse wird deutlich, dass in Mroués „LOOKING FOR A MISSING EMPLOYEE“ (2003) und Jabers „NOT FOR PUBLIC“ (2008) das klassische Verständnis des Theaterzuschauers - als eines passiven Konsumenten der theatralen Handlung - angegriffen und neu verhandelt wird. Hierüber werden gleichsam spezifische Problematiken der libanesischen Nachkriegsgesellschaft berührt und die Stellung des Individuums in einem Staat zur Diskussion gestellt, der sich de jure als demokratische Nation ausweist, de facto jedoch auch zwanzig Jahre nach dem Bürgerkrieg noch immer von Konfessionalismus, Klientelismus, Clanwirtschaft und Korruption geprägt und gelenkt wird.
Die beiden in ihren ästhetischen Strategien sehr unterschiedlichen Arbeiten zeigen hierin einen hohen politischen Gehalt. Dieser lässt sich - auch wenn Mroué und Jaber sich thematisch stark mit der eigenen Gesellschaft und Geschichte auseinandersetzen - jedoch weniger im verhandelten Inhalt als in der politischen „Gemachtheit“ dieser Theateransätze erkennen, d.h. in der Fokussierung auf und Auseinandersetzung mit dem Zuschauer. Hierin findet sich ein zeitgenössisches Neuverständnis politischen Theaters, mit dem diese Künstler eine kritische Distanz zu ihren Vorreitern, den libanesischen Vertretern der arabischen Theateravantgarde, einnehmen. Das Buch versteht sich somit als Beitrag zu einer noch größtenteils ausstehenden Forschung über die Entwicklung des zeitgenössischen libanesischen bzw. arabischen Theaters, seinen gegenwärtigen Fragestellungen und seiner Ästhetik.
Autoreninfo
Yvonne Albers, M. A., studierte von 2003 bis 2010 Arabistik, Theaterwissenschaft und Philosophie an der Universität Leipzig und Universität Damaskus. Ihr Studium schloss sie ab mit einer Arbeit zu Rolle und Bedeutung des Zuschauers in zeitgenössischem Theater und Performancekunst im Libanon, in deren Rahmen sie ein längerer Forschungsaufenthalt nach Beirut führte. Von 2007 bis 2010 war sie Stipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung. Unter der Regie von Muhanad al-Hadi wirkte sie 2007/08 als Mitglied in einem irakisch-deutschen Theaterensemble mit, das vom Goethe Institut Irak gefördert wurde und in Syrien, Tunesien und Jordanien gastierte. Während ihres Studiums war Yvonne Albers lange Zeit als Hilfskraft am Simon Dubnow Institut für jüdische Geschichte und Kultur tätig und arbeitete dort u. a. in einem DFG-Forschungsprojekt zur arabischen Rezeption des Holocaust und dem Akademieprojekt zur Erstellung einer mehrbändigen „Enzyklopädie jüdischer Kulturen“.Seit Juli 2010 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin der Arabistik am Centrum für Nah- und Mitteloststudien der Universität Marburg. In ihrer derzeitigen Forschung beschäftigt sie sich mit Konzeptionen von Öffentlichkeit und öffentlichem Raum in der arabischen Kulturgeschichte und deren Verhandlung in der zeitgenössischen Kunst.
Reihentext
Diese Reihe stellt innovative Arbeiten zu den nahöstlichen Literaturen in ihren verschiedenen Epochen und Gattungen vor. Sie versteht sich nicht ausschließlich als ein Forum für Orientwissenschaftler, sondern möchte auch Komparatisten, Literaturwissenschaftlern und einer interessierten Öffentlichkeit Einblicke in das breite Spektrum gegenwärtig produzierter und rezipierter Literatur des Nahen Ostens bieten.
Denn die Herausgeberinnen, Autorinnen und Autoren wollen den Titel der Reihe programmatisch verstanden wissen. Sie gehen von einem Begriff der Weltliteratur aus, der die orientalischen Literaturen nicht nur statisch einbegreift, sondern sie in ein Kulturregionen und Nationalsprachen übergreifendes Spannungsfeld stellt, dessen Dynamik erst im interdisziplinären Austausch erfasst werden kann. Sie gehen ferner davon aus, dass Literaturen in vielfacher Weise intertextuell geprägt sind, dass sie Lektüren verschiedenster vorausgehender Texte darstellen und daher erst in ihrem „lokalen historischen Kontext“ ihren Reiz als Ausdruck einer regional geprägten Ästhetik entfalten können. Die Reihe versucht so, einer neuen Sensibilität für mythische, archetypische, aber auch historische Subtexte in der nahöstlichen Literatur Bahn zu brechen, sie aber gleichzeitig als wichtigen Ausdruck einer globalen kulturellen Mobilität sichtbar zu machen.