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9783895001857

Pannewick, Friederike

Das Wagnis Tradition

Arabische Wege der Theatralität

2000
17,0 x 24,0 cm, 336 S., Gebunden
42,00 €

ISBN: 9783895001857
Inhaltsverzeichnis
Probekapitel

Kurze Beschreibung

Es gibt kein eigenständiges arabisches Theater. Dieses Genre wurde von den Arabern aus Europa übernommen. Lange Zeit war diese These in Europa und in der arabischen Welt vorherrschend, und teilweise ist sie das auch noch heute. Was aber ist Theater genau? Bedeutet dieser Begriff in allen Kulturen und zu allen Zeiten dasselbe? Diesen Fragen geht die Autorin nach und legt dabei Kriterien an, die in aktuellen Kulturwissenschaften entwickelt wurden. Sie zeigt, welchen Stellenwert der Geschichtenerzähler oder rituelle Spiele im modernen arabischen Theater haben. In diesen Experimenten, in denen traditionelle Elemente mit aktuellen Inhalten verbunden werden, zeigen sich auffällige Parallelen zum Theater in Europa, Afrika, China oder Lateinamerika. An zahlreichen Beispielen wird hier belegt, dass das arabische Theater in einem Prozess transkultureller Interaktionen entstanden und aus dieser Dynamik heraus zu verstehen ist.

Ausführliche Beschreibung

Was ist „Theater“, gibt es ein eigenes „arabisches“ Theater? Oder hat dieses Medium überall in der Welt dieselbe Bedeutung? Seit den sechziger Jahren wurden diese Fragen in der arabischen Kulturszene heiß diskutiert. Arabische Forscher und Theaterkünstler stellten sich gegen die international anerkannte These, in der arabischen Kultur habe es keine eingeständige Theatertradition gegeben. Man erforschte mittelalterliche Quellen bis hin zu europäischen Reiseberichten und fand eine ganze Reihe von Belegen für arabische Darstellungskünste, die mit dem klassischen europäischen Drama allerdings wenig zu tun haben. Doch sie enthalten Elemente, auf die viele avantgardistische Performancekünstler Europas seit den sechziger Jahren zurückgegriffen haben, um sich vom traditionellen Drama des Bürgertums abzugrenzen.
Die Autorin ordnet die Debatte um arabische Theaterformen in den Bereich der Theatralitätsforschung ein. Seit einiger Zeit werden in den Theater- und Kulturwissenschaften neue Kriterien zum Verständnis zeitgenössischer Theaterformen erarbeitet. Theater wird hier als Ereignis gesehen, das zwischen Bühne und Publikum geschieht. Nicht ein literarischer Text steht im Mittelpunkt der Betrachtung, sondern die Kommunikation zwischen Schauspielern und Zuschauern, das heißt der Prozess der Theatralität.
Mit diesen Kriterien lassen sich nicht nur avantgardistische Performances in Europa, sondern ebenso arabische Formen von Theatralität erfassen. In Europa experimentierten Theaterkünstler mit außereuopäischen Performanceformen, mit Ritualen, Tänzen und Maskenspielen; sie wollten damit die Vorgaben des konventionell aristotelischen Dramas ablegen. In der arabischen Welt wurden zunächst europäische Klassiker imitiert und für das arabische Publikum adaptiert. Im Zuge des erstarkenden Anti-Kolonialismus aber strebte man nach einer Distanzierung vom europäischen Drama, das als koloniale Überfremdung empfunden wurde. Seit den sechziger Jahren hat sich eine große Vorliebe entwickelt, mit arabischen Traditionen wie dem Geschichtenerzähler, dem Schattenspiel oder rituellen Darstellungen zu experimentieren und sie mit aktuellen Inhalten zu füllen. So kommt es, dass sich arabische und europäische Performancekünstler sozusagen auf halbem Wege trafen, jeder auf der Suche nach einem zeitgemäßen und publikumsnahen Verständnis von Theater.
Doch auch in Singapur, Afrika, Lateinamerika oder China finden wir diese Tendenzen: Elemente aus verschiedenen Zeiten und Kulturen werden synkretisch verbunden und daraus neue, eigenständige Formen entwickelt. In einer globalen Situation zeitgenössischer Kunst hat sich eine künstlerische Sprache gebildet, die nationale der kulturelle Grenzen überwindet. Kultur kann in diesem Zusammenhang nicht mehr als eine in sich geschlossene Einheit verstanden werden, die von anderen solchen Einheiten klar abzugrenzen wäre. In der aktuellen Anthropologie ist seit einiger Zeit ein offener, dialogischer, oder genauer gesagt poly-logischer, Kulturbegriff in der Diskussion. Mit diesem neuen Begriff von Kultur werden wichtige Phänomene in der arabischen Theaterwelt seit den sechziger Jahren erst richtig verständlich. Theater ist ein kultureller Akt, der nicht isoliert zu betrachten ist, sondern in einem Prozess trans-kultureller Interaktionen entstanden und nur aus ihm heraus zu interpretieren ist.

Reihentext


Diese Reihe stellt innovative Arbeiten zu den nahöstlichen Literaturen in ihren verschiedenen Epochen und Gattungen vor. Sie versteht sich nicht ausschließlich als ein Forum für Orientwissenschaftler, sondern möchte auch Komparatisten, Literaturwissenschaftlern und einer interessierten Öffentlichkeit Einblicke in das breite Spektrum gegenwärtig produzierter und rezipierter Literatur des Nahen Ostens bieten.
Denn die Herausgeberinnen, Autorinnen und Autoren wollen den Titel der Reihe programmatisch verstanden wissen. Sie gehen von einem Begriff der Weltliteratur aus, der die orientalischen Literaturen nicht nur statisch einbegreift, sondern sie in ein Kulturregionen und Nationalsprachen übergreifendes Spannungsfeld stellt, dessen Dynamik erst im interdisziplinären Austausch erfasst werden kann. Sie gehen ferner davon aus, dass Literaturen in vielfacher Weise intertextuell geprägt sind, dass sie Lektüren verschiedenster vorausgehender Texte darstellen und daher erst in ihrem „lokalen historischen Kontext“ ihren Reiz als Ausdruck einer regional geprägten Ästhetik entfalten können. Die Reihe versucht so, einer neuen Sensibilität für mythische, archetypische, aber auch historische Subtexte in der nahöstlichen Literatur Bahn zu brechen, sie aber gleichzeitig als wichtigen Ausdruck einer globalen kulturellen Mobilität sichtbar zu machen.

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Schlagworte

Afroasiatische Sprachen, Hamitosemitisch (126) || Arabisch (104) || Darstellende Künste (9) || Gesellschaft und Kultur, allgemein (411) || Kultur- und Medienwissenschaften (305) || Kulturwissenschaften (287) || Literatur: Geschichte und Kritik (179) || Literaturwissenschaft (80) || Literaturwissenschaft, allgemein (121) || Semitische Sprachen (99) || Sonstige Literaturen (14) || Theaterwissenschaft (8)