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9783895004124

Reisner, Oliver

Die Schule der georgischen Nation

Eine sozialhistorische Untersuchung der nationalen Bewegung in Georgien am Beispiel der »Gesellschaft zur Verbreitung der Lese- und Schreibkunde unter den Georgiern« (1850 bis 1917)

2004
17,0 x 24,0 cm, 320 S., 3 s/w Abb., Gebunden
49,00 €

ISBN: 9783895004124
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Probekapitel

Kurze Beschreibung

Gegenstand dieser Studie sind die Mitglieder der 1879 gegründeten „Gesellschaft zur Verbreitung der Lese- und Schreibkundigkeit unter den Georgiern“. Anhand verschiedener Quellen (Mitgliederlisten, Regierungskorrespondenz, Universitätsmatrikel, Polizeiberichte, Nachrufe, Personalakten etc.) rekonstruiert Oliver Reisner die Lebensläufe der Mitglieder und erschließt ihre geographische wie soziale Herkunft, ihr Bildungsweg, regionale und berufliche Mobilität sowie ihre gesellschaftlichen und politischen Tätigkeiten. Auf diese Weise werden die Zusammenhänge zwischen Nationalbewegung und sozialem Wandel in der traditionellen agrarischen Adelsgesellschaft Georgiens vom 19. zum beginnenden 20. Jahrhundert dargestellt.

Ausführliche Beschreibung

Gegenstand dieser Studie sind die Mitglieder der 1879 gegründeten „Gesellschaft zur Verbreitung der Lese- und Schreibkundigkeit unter den Georgiern“. Mittels einer kollektiven Biographie der Mitglieder des nationalen Bildungsvereins, der das organisatorische Rückgrat aller in der Nationalbewegung engagierten „Patrioten“ (Hroch) darstellt, wird deren gruppenbildende Funktion im Transformationsprozess der georgischen Gesellschaft bestimmt. Aus diversen Quellen (Mitgliederlisten, Regierungskorrespondenz, Universitätsmatrikel, Polizeiberichte, Nachrufe, Personalakten etc.) werden die Lebensläufe der Mitglieder rekonstruiert, ihre geographische wie soziale Herkunft, ihr Bildungsweg, regionale und berufliche Mobilität sowie gesellschaftliche und politische Tätigkeiten erschlossen. Auf diese Weise werden die Zusammenhänge zwischen Nationalbewegung und sozialem Wandel in der traditionalen agrarischen Adelsgesellschaft Georgiens vom 19. zum beginnenden 20. Jahrhundert verdeutlicht.
Vom Dorf wird ihr Bildungsweg, ihr sozialer und beruflicher Werdegang von ersten Gruppenbildungen in Adelssalons in Tbilisi, über die Studentenzirkel in Petersburg und Moskau, die gemeinsame Arbeit in den ersten georgischen Zeitungsredaktionen und die Aktivitäten in den ersten freiwilligen Assoziationen verfolgt. Auch die Ausbildung politischer Gruppierungen wirkte sich auf die Arbeit der Alphabetisierungsgesellschaft durch Fraktionsbildung und interne Kritik auf den Mitgliederversammlungen aus.
Vor diesem Hintergrund wird ebenfalls die Bewertung des sozialen Wandels durch die Nationalbewegung anhand ihrer Versuche, eine Identität im national-kulturellen Maßstab neu zu fassen, neu gedeutet. Auf diese Weise beschreibt diese Monographie die soziale und mentale Transformation von Teilen der vormodernen Adelselite in eine nationale Intelligenz und deren Verankerung in der georgischen Agrargesellschaft.
Die Rekrutierung nationaler Eliten als politische Führungsgruppen ist bisher für die Völker des Zarenreichs nicht systematisch und empirisch untersucht worden. Am Beispiel der Bildung einer nationalen Elite unter den Georgiern wird erstmals gezeigt, auf welche Weise sich ein kaukasisches Volk allmählich gegenüber der zarischen Regierung und anderen Ethnien (v. a. Russen und Armenier) abzugrenzen vermochte. Die Entstehungsbedingungen dieser neuen Elite, die Orte ihrer Gruppenbildung und die von ihnen geteilten Überzeugungen bilden ein spezifisches Beziehungsgeflecht, das aus einer größeren Anzahl konkreter Lebensläufe extrahiert werden kann.

Interessengebiete: Osteuropäische Geschichte, Kaukasien-
und Eurasienforschung, vergleichende Nationalismus­forschung

Rezensionen

„Die vorliegende Studie über die georgische Nationalbewegung vor 1917 ist eine gekürzte und überarbeitete Version einer 1999/2000 an der Universität in Göttingen eingereichten Dissertation. Ihr Autor, Oliver Reisner, ist der momentan wohl einzige deutschsprachige Osteuropahistoriker mit profunden Kenntnissen in der russischen wie in der georgischen Sprache - und zudem mit Interessen an theoretischen und methodischen Fragen. Beides kommt der vorliegenden Monographie zugute, die methodisch und empirisch profund und differenziert argumentierend die georgische Nationalbewegung vor 1917 darstellt und interpretiert. Mit ihr ist dem Autor nicht nur eine fundamentale Studie über die Sozialgeschichte Georgiens geglückt, sondern auch ein wesentlicher Beitrag zur Geschichte des Kaukasus, über nationale Bewegungen im 19. und 20 Jahrhundert sowie über die gesellschaftliche Selbstorganisation im ausgehenden Zarenreich. (...)
Insgesamt hat Reisner mit dieser Studie sowohl einen wichtigen Beitrag zur Sozialgeschichte Georgiens als auch zur Sozialgeschichte des Russländischen Reiches im 19. und frühen 20. Jahrhundert vorgelegt. Dem Buch ist eine Übersetzung ins Georgische zu wünschen.“

In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. 56 (2008). Heft 2. S. 296-297.

Schlagworte

19. Jahrhundert (1800 bis 1899 n. Chr.) (66) || 20. Jahrhundert (1900 bis 1999 n. Chr.) (84) || Anthropologie (79) || Erste Hälfte 20. Jahrhundert (1900 bis 1950 n. Chr.) (30) || Europäische Geschichte (215) || Georgien (38) || Geschichte (829) || Kaukasien (16) || Kollektivbiographie || Nationalbewegung || Nationalismus (4) || Osteuropa (240) || Politik und Staat (67) || Politikwissenschaft (21) || Politische Ideologien (5) || Sozial- und Kulturanthropologie, Ethnographie (77) || Soziologie (21) || Soziologie und Anthropologie (108)